Tee für jede Stimmung

Chaotisches Wetter vor der Tür, doch ich sitze gemütlich an dem breiten, hölzernen Tisch im Wohnzimmer, nah am Fenster. Es ist Samstagmorgen, draußen ist es kalt und neblig. Das Holz brennt im Kamin. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, einer nach dem anderen, die schnell ineinander übergehen.

Anfang Januar war ich noch in Berlin, um mich vom Nannuoshan Teehaus und auch von einem noch wichtigeren Teil meines Lebens zu verabschieden.

Ruhelos bin ich jetzt zu Hause, allein. Es fühlt sich einsam an, und gestern noch war es anders geplant.

Ob ich die Zukunft verdrängt habe? Sicher nicht, da meine Gedanke auch in diese Richtung schweben. In nur einem Monat werde ich in einem neuen Land, auf einem neuen Kontinent leben, werde mich den Herausforderungen eines neuen Jobs und eines neuen Lebens stellen. Es ist Zeit für Veränderungen und ich bin nicht sicher, ob ich dafür bereit bin.

Dünnwandiger, zarter weißer Gaiwan  Nebliger Winter

 

Letztlich frage ich mich, welchen Tee soll ich trinken, um Körper und Seele zu wärmen? Ich kenne die Antwort, bevor ich die Frage beende: einen jungen Shou Mei. Ich liebe Weißen Tee, besonders Mudan, einen engen Verwandten von Shou Mei. Der Tee ist noch nicht im Handel, er hat gerade seine Reife erreicht und wird bald verfügbar sein.

Ich wähle meinen Kintsugi-Teller und den dünnwandigsten und elegantesten Gaiwan. Sie passen sowohl zu meiner Stimmung als auch zum Tee. Ich habe diesen Shou Mei letztes Jahr im Frühjahr bezogen, er war nur wenige Monate alt, zart und kraftvoll zugleich. Der Shou Mei wusste, dass Veränderungen bevorstanden. Im Frühjahr waren seine Blätter noch grün und der Geschmack auch. Weißer Tee ändert sich ständig, unglaublich schnell im ersten Jahr. Die Blätter von Shou Mei sahen so zerbrechlich und verletzlich aus. Aber in nur wenigen Monaten wechselten sie das Aussehen und den Geschmack. Jetzt sind die Tönungen der Blätter und des Likörs dunkler und der Geschmack hat einige milde, fruchtige Noten erhalten, die mich an saftige, gelbe Früchte erinnern, vielleicht an Aprikosen. Aber der Shou Mei ruht sich nie aus; er wird sich in den nächsten Monaten und Jahren weiter verändern. Manchmal verlangsamt sich die Veränderung, er bleibt monatelang konstant oder vermittelt sogar den Eindruck, auf seinem Weg zurück zu gehen. Und dann kommt eine weitere heiße und feuchte Jahreszeit und der Shou Mei verändert sein Aussehen und seinen Geschmack erneut.

Nun genieße ich meine letzte Teeschale. Es fühlt sich so wunderbar an, wenn ich daran denke, dass er in nur wenigen Monaten so anders schmecken wird. Und ist das nicht die Schönheit des Lebens, dieser stetige Wandel?

Es ist entschieden, ich werde ein Shou Mei sein, bereit, mich zum Besseren zu wenden und mutig genug, um auch einmal den Weg zurück zu gehen, wenn es mir richtig erscheint.

Gongfu Cha  Chaxi mit Kintsugi

Die letzte Schale Tee

 

Ob Du mit Deinem Kuai Ke Bei im Büro bist, zu Hause mit wertvollerem Geschirr, wie Deinem neuen Kintsugi-Teller, oder einfach nur an einem Samstagmorgen aufgestanden bist, nimm Dir doch einen Moment Zeit, um in Dich hineinzuschauen, dann richte die Augen auf die Vitrine und wählen den Tee, der Deiner Stimmung am besten entspricht. Dein Geist, Deine Seele und Dein Körper werden dankbar sein, und ich ebenfalls.

Fühlst Du dich von meinen Worten angesprochen? Betrachte sie dann immer wieder, aus verschiedenen Perspektiven, und vielleicht entdeckst Du, dass Du gemeint bist.

 

Geschrieben von Gabriele