Geflügeltee? Wirklich?

Kennen Sie das mit diesen wilden Assoziationen, die im Kopf ablaufen, wenn man Musik hört, Düfte wahrnimmt, oder Bilder betrachtet? Oft motiviert mich auch ein Tee, eine gewisse Musik zu hören; ein anderes Mal ist es umgekehrt.

Zu indischen Tees geniesse ich manchmal gern auch indische Ragas, zum Beispiel vom Großmeister Ravi Shankar, zu ostafrikanischen Tees dann (nicht ganz passend) Musik aus Westafrika. Wie würde wohl der große fränkische Philosoph Loddar Maddhäus sinngemäß sagen: „Argentinien, Angola - Hauptsache Afrika.“

Höre ich den Titel „Bombay Duck“, so ist mir nicht nach indischem Tee oder gar einer knusprigen Ente, vielmehr assoziiere ich damit automatisch Duck Shit. Bombay Duck ist zwar ein Fisch, und keine Ente. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Duck Shit, in politisch korrektem Englisch auch gern Duck Sh*t oder Duck Feces tituliert, heisst in China Ya Shi Xiang, also Entenkot-Duft. Ist diese Namensfindung nun besonders cleveres oder besonders schlechtes Marketing? Egal, Duck Shit soll es heute sein. Zufällig findet sich in meinem Bestand auch noch ein Pröbchen Chicken Cage, zu Deutsch Hühnerstall oder Chinesisch Ji Long Kan, so daß ich spontan zu einer Parallelverkostung schreite. 

Ya Shi Xiang von Nannuoshan

Kritischer Expertenblick aus der Vogelperspektive 


Ein unfairer Vergleich sicherlich, weil der Duck Shit kürzlich taufrisch bei mir eintraf, der Chicken Cage dagegen schon einige Monate vor sich hin reift und auch deutlich geröstet wurde. Dies zeigt auch der erste Aufguss, der bei der Ente deutlich hellgelb ist, beim Huhn dagegen eher karamellfarben. Da stärker geröstete Oolongs sich aber lange halten, wollen wir mal nicht kleinlich sein.

Aber letztlich wollten diese beiden Vögel keine Muschis sein, und nur der Harte kommt in den Teegarten. Und schon führt mich das Geflügel gedanklich ins alte China. Ich brühe also die Geflügelbrühen auf, immerhin hat man den Tee vor Jahrhunderten doch auch als Brühe bezeichnet, ihn gesalzen und gewürzt und sicher auch hin und wieder Gemüse hinzugefügt. So weit mag ich nun aber doch nicht gehen.

Los geht es also mit jeweils 5g auf 150ml Wasser; ich brühe Tees gern etwas stärker und lasse kürzer ziehen, diesmal zunächst für 30 Sekunden.

Ya Shi Xiang  Ya Shi Xiang

Vergleich des ersten Aufgusses, links Ya Shi Xiang, rechts Chicken Cage


Der Ya Shi riecht fruchtig-floral und leicht nach Mandel, der Chicken Cage nur schwach mineralisch. Der Ya Shi schmeckt wie er riecht, jedoch bei weitem nicht so mandelig wie der Xingren Xiang, nur ein zarter Hauch ist zu entdecken. Der Chicken Cage zeigt ein wenig die Holzkohle seiner Röstung und ist marginal bitter, viel Aroma ist noch nicht zu entdecken.

Nun folgen mehrere Aufgüsse zu je 45 Sekunden. Der Ya Shi behält die ganz zarte Mandel noch eine kurze Zeit bei, dann ereignet sich eine Explosion von Geranie und Birnensaft. Öliges Aroma, kein wässriges, wunderbar im Mund mit einem Nachgeschmack, der hoffentlich zu Küssen einlädt (ich erwarte meine Frau in Kürze wieder daheim). Der Chicken Cage lässt in der Mineralität nach, aber kaum im Röstaroma, bzw. der Holzkohle. Nicht unangenehm, aber man muß wissen, was man will. Will ich durchaus, persönlich kann ich sowohl zart floralen als auch kräftig gerösteten Dancongs viel abgewinnen. Und die ersten zwei Aufgüsse eines Da Hong Pao dürfen auch gern noch deutlich die Holzkohle zeigen, dann ist es aber auch gut. Leider ist der Bai Ji Guan gerade nicht zur Hand, der würde mir sicher eher gefallen, und immerhin ist sein deutscher Name Weißer Hahnenkamm; er würde also auch in den heutigen Kontext passen. 

Nach dem sechsten Aufguss steigere ich die Brühzeit auf 1 Minute und tue gut daran. Allmählich lässt die Intensität nach, das Hui Gan (süßer oder angenehmer Nachgeschmack, wiederkehrendes Gefühl) bleibt aber zum Glück. Beim Chicken Cage ist noch immer nicht viel Aroma zu entdecken, da gibt es sicher bessere Produktionen. Zur seiner Ehrenrettung sei jedoch erwähnt, daß auch er ein prima Hui Gan zeigt, doch leider ist dies auch fast alles, was er bietet. 

Ya Shi Xiang Blätter nach mehrfachem Aufguss

Da geht noch was, der sechste Aufguss war nicht der Letzte


Zum Vertiefen des Chicken Cage lege ich „Money for nothing“ auf, heisst es da nicht im Text „and the chicks for tea“? ;-)

Kann Tee high machen? Die Synapsen stimulieren? Viele Experten und auch Laien sind davon überzeugt. Kann man zuviel Tee trinken? Ich persönlich denke: nein.

Gerade fällt mir auf, wie eng Enten und Hühner auch in der Musik verknüpft sind. Singt man kleinen Kindern hierzulande „Alle meine Entchen“ vor, so ist dies im Spanischen das auch akustisch sehr verwandte „Los pollitos dicen“, hier sind also die Hühnerküken die Protagonisten.

So, nun aber genug mit den wilden Assoziationen. Ich will die weiteren Aufgüsse geniessen. Wem’s nicht gefallen hat: nehmen Sie es nicht zu ernst. Ich bin halt Vegetarier, was weiß ich schon über Geflügel? Und falls Sie sich fragen: „was hat der denn heute getrunken“, das steht ja weiter oben. Ohne Zusätze. Keine Milch, kein Zucker.

Anspieltipps: „Bombay Duck“ von The Regulars und „Money for nothing“ von den Dire Straits. Lesetipp: "Hühnersuppe für die Seele" von Canfield und Hansen.

Geschrieben von Jens